NOVA Blog: 8. August 2018
Webcam Eyetracking – diese Tools sollten Sie probieren
Kategorie: Methoden & Tools, Usability
„Wir hätten gerne Eyetracking. Die Heatmaps zu den Blickaufzeichnungen sind so schön visuell, damit lassen sich Usability-Probleme gut intern weiterkommunizieren.“
Solche Anfragen bekommen wir immer wieder. Bisher haben wir unseren Kunden allerdings von Eyetracking abgeraten: Zum einen sind klassische Eyetracking-Techniken, bei denen eine spezielle Brille und Software notwendig sind, sehr kostspielig. Zum anderen kann bei der Verwendung von Eyetracking während eines Interviews keine Interaktion mit dem Moderator stattfinden, da der Nutzer stillhalten muss. Zwar wird das Suchverhalten des Nutzers auf der Webseite erfasst. Der Moderator hat aber erst nach dem Eyetracking die Möglichkeit, Rückfragen zu stellen, um den Nutzer und sein Verhalten zu verstehen. Im Worst Case kann sich der Nutzer im Nachhinein aber nicht mehr so genau an sein eigenes Verhalten erinnern. Zudem verkürzt die Kalibrierung die eigentliche Interviewzeit.
Wann Eyetracking dennoch sinnvoll ist
Mit Eyetracking kann erfasst werden, welche Informationen der Nutzer wirklich wahrnimmt und welche ihn ablenken. Dass gewisse Elemente nicht wahrgenommen werden, können wir zwar auch im klassischen Usability-Test durch die Beobachtung des Nutzers feststellen. Wohin seine Augen aber tatsächlich gewandert sind, können wir oft nur mutmaßen.
Die tatsächliche Augenbewegung zu erfassen, ist vor allem dann sinnvoll, wenn verschiedene Layouts einer Website – ähnlich eines A/B-Tests – gegeneinander getestet werden sollen: In welcher Variante gelangt der Nutzer schnell und unkompliziert an seine Informationen? Kommt der Nutzer beispielsweise mit einer horizontalen oder einer vertikalen Navigationsleiste besser zurecht?
Mit Eyetracking begibt man sich bei solchen Fragen auch auf eine quantitative Ebene. Dadurch sind bereits vor der Umsetzung schnelle Testings mit hoher Fallzahl möglich. Ein Haken besteht dann aber immer noch: Eyetracking ist teuer!
Webcam Eyetracking – die günstige Alternative?
Innovative Technik hat meist ihren Preis. Ein paar Jahre später wird sie aber in der Regel kompakter und damit auch günstiger. Inzwischen gibt es Lösungen, die Augenbewegungen relativ präzise (80% der Ergebnisse sind mindestens auf 3 cm genau) direkt über herkömmliche Webcams am Desktop-PC oder Laptop zu erfassen. Teure Hardware entfällt dadurch. Es fallen lediglich Software-Nutzungsgebühren an – Und das Beste daran ist: Es ergeben sich ganz neue Möglichkeiten! Eyetrackings können dank der Webcam-Technik nicht nur in Remote Usability Tests, bei denen Nutzer flexibel über ihren eigenen Laptop befragt werden, genutzt werden, sondern auch in quantitativen Online-Befragungen.
Für beide Fälle haben wir je eine Lösung für Sie getestet (unseren Vergleich können Sie sich auch hier auf einen Blick als PDF herunterladen).
Eyetracking in Remote Usability Tests mit Eyesdecide.com
Eyesdecide bietet die Möglichkeit bei bis zu 30 Testern pro Projekt sowohl die Augen- und Mausbewegung als auch die Klicks per Video aufzuzeichnen. Das sieht dann so aus:
In unserem Versuch haben wir die Teilnehmer gebeten, auf unserer Homepage nach Informationen zu Usability Testings zu suchen. Der Blick fällt nach kurzer Orientierung auf die Sidebar und die Beschreibungen der Leistungsbereiche im unteren Teil der Seite. Aus den aufgenommenen Daten können wir also schließen, dass die Informationen leicht gefunden werden.
Neben diesen anschaulichen Videos lässt sich auswerten, wie lange der Nutzer gebraucht hat, um einen definierten Bereich zu finden und wie viele Nutzer diesen überhaupt wahrgenommen haben. Zudem können Heatmaps als einzelne Bilder generiert und Klickpfade ausgewertet werden.
Bisher ist das Ganze nur mit Klick-Prototypen möglich. Diese können allerdings bequem mithilfe von Screenshots direkt in Eyesdecide angelegt werden. Der Anbieter arbeitet bereits an einer Lösung, Webseiten auch live und nicht nur als Klickprototypen testen zu können.
Ein kleiner Hinweis: Die Genauigkeit der Blickaufzeichnung nimmt mit der Qualität der Webcam ab, weswegen bei der Rekrutierung auf Teilnehmer mit hochwertigen Laptops geachtet werden sollte. Um möglichst genaue Daten zu liefern, ist die Kalibrierung recht umfangreich und kann bis zu 5 Minuten im Interview in Anspruch nehmen. Eyesdecide empfiehlt zudem die Dauer des Eyetrackings auf eine Minute zu reduzieren, da der Nutzer nach wie vor den Kopf stillhalten muss. Die restliche Interviewzeit kann dann für einen klassischen Remote Usability Test genutzt werden.
Eyetracking in Online-Befragungen mit RealEye.io
RealEye hat im Gegensatz zu Eyesdecide keine Teilnehmerbegrenzung und eignet sich daher bestens für quantitative Erhebungen im Rahmen einer Online-Befragung. Die Einbindung in eine Online-Befragung ist rein technisch problemlos möglich. Auch die Kalibrierungsphase ist kürzer gehalten und nimmt weniger als eine Minute in Anspruch. Dafür sind die Daten etwas gröber. RealEye gibt auf ihrer Website eine Genauigkeit von bis zu 64px (ca. 1 cm) an. Eyesdecide wirbt zum Vergleich mit einer Genauigkeit von bis zu 22 mm.
Statt eines Videos liefert RealEye die Daten als Einzelbilder. Mit Hilfe einer dynamischen Zeitleiste kann die Augenbewegung des Nutzers in einem Ergebnisdashboard nachvollzogen werden.
Die Auswertung definierter Bereiche hinsichtlich der Zuverlässigkeit, dass diese wahrgenommen werden und der durchschnittlichen Suchzeit, gibt es bei RealEye ebenso wie bei Eyesdecide.
Ein größerer Haken von RealEye.io ist, dass lediglich einzelne Screenshots von Webseiten getestet werden können. Die Anzahl der Screenshots bestimmt dann den Preis. Klickpfade und Mausbewegungen werden hierbei nicht erfasst.
Ein kleiner Hinweis: Nicht jeder Teilnehmer einer Online-Befragung besitzt eine Webcam und ist bereit einer Blickaufzeichnung zuzustimmen. Daher muss eine gewisse Droprate eingerechnet und das Incentive erhöht werden.
Unser Fazit
Webcam Eyetracking ist durch ein besseres Preis-Leistungsverhältnis eine echte Alternative zum klassischen Eyetracking geworden. Es bietet das Potential, kostengünstig Eyetracking in (Remote) Usability Tests und Online-Befragungen einzubauen, um so beispielsweise verschiedene Varianten einer Website vor der eigentlichen Implementierung zu testen. Hürden bestehen nach wie vor in einer aufwendigen Kalibrierungsphase, der eingeschränkten Interaktion mit dem Befragten und der Zustimmung zur Blickaufzeichnung seitens der Nutzer. Ob ein Webcam Eyetracking zielführend ist, sollte daher auch weiter abgewogen werden. Wir beraten Sie hierzu gerne in einem individuellen Gespräch!
Hier haben Sie die Möglichkeit den Blog-Eintrag zu bewerten
Autorenprofil
-
UX Research Manager
E-Mail schreiben
Spezialgebiet: Mobile UX, Tools, Quantitative UX Methoden
Letzte Beiträge
- 29. Januar 2024GastbeitrageHealth UX: Die Schlüsselrolle der Nutzerzentrierung
- 16. April 2020Methoden & ToolsUX messbar machen: Joy-of-Use-Tracking
- 20. Februar 2020Methoden & ToolsCard Sorting & Tree Testing – Mentale Modelle von Nutzern messen
- 6. Mai 2019EventsUX als Religion: Eindrücke von der uxinsight!