NOVA Blog: 11. März 2019
Warum sich Nutzer für schlechte UX entschuldigen und was dagegen zu tun ist
Kategorie: Methoden & Tools
„Ich habs nicht so mit Technik.“
„Da hab ich mich jetzt echt blöd angestellt.“
„Wenn man‘s einmal weiß, ist’s einfach.“
Solche oder so ähnliche Sätze hören wir von Nutzern häufig, während wir gemeinsam eine App, eine Website, ein Interface im Fahrzeug oder am Haushaltsgerät testen. Obwohl die Anwendung offensichtlich maßgebliche Usability-„Herausforderungen“ aufweist, fühlen Nutzer sich häufig verantwortlich, ja sogar schuldig dafür, dass sie Schwierigkeiten im Umgang damit haben.
Warum ist das eigentlich so?
Darauf eine klare Antwort zu finden, ist nicht ganz leicht.
Eigentlich ist der Mensch mit zahlreichen Mechanismen und nützlichen Tricks ausgestattet, die rund um die Uhr dafür arbeiten, ein positives Selbstbild aufrecht zu erhalten (self-serving Bias, für die Psychologen unter uns). Gemeinsam sorgen sie dafür, dass der Mensch ruhigen Gewissens denkt: „Ich bin doch eigentlich ein guter Typ“.
Die eigenen Erfolge werden dadurch den eigenen Fähigkeiten zugeschrieben: „Ich habe die Prüfung erfolgreich bestanden, weil ich super vorbereitet war.“
Bei den eigenen Misserfolgen, wird die Schuld der Situation, dem Zufall oder dem unfairen Professor gegeben: „Ich bin durchgefallen, weil man die Prüfung gar nicht schaffen konnte.“
Dieser Logik folgend müssten die Nutzer bei Schwierigkeiten also sagen: „Diese Website ist total unübersichtlich und schlecht gestaltet.“ Das tun sie allerdings häufig nicht.
Dafür gibt es verschiedene Gründe.
1. Task-selection Bias
In Usability Tests geben wir Nutzern nur Aufgaben, die natürlich auch lösbar sind. Die Nutzer wissen das, warum sollten wir auch Fragen stellen, auf die es keine Antwort gibt. Wenn sie also versuchen ein Hotelzimmer zu buchen oder ein Foto in eine Cloud zu laden und das nicht schaffen, sind sie schnell darin, sich selbst daran die Schuld zu geben: „Es muss ja einen Weg geben und ich habe ihn aber nicht finden können.“
2. Was schön aussieht, muss auch gut funktionieren
Wunderschön gestaltete Interfaces begeistern. Sie vermitteln den Eindruck, dass der Designer absolut alles richtig gemacht hat, selbst wenn dem nicht so ist. Der aesthetic-usability Effekt beschreibt genau diese Tatsache. Demnach tendieren Nutzer dazu kleinere Usability-Probleme eher zu verzeihen, wenn das Interface schön gestaltet ist. Dieser Effekt kann ebenfalls dazu führen, dass Nutzer bei Usability-Schwierigkeiten an ihren eigenen Fähigkeiten zweifeln, statt dieses wunderschöne, aber schwer nutzbare Produkt zu beschuldigen.
3. Soziale Erwünschtheit
Menschen tendieren dazu zu sagen, was andere hören wollen. In Testsituationen führt das häufig dazu, dass wir als Interviewer ein bestimmtes Verhalten beobachten, die Nutzer aber im Anschluss etwas anderes sagen.
Beispiel: Ein Call-to-Action ist schwierig zu erkennen oder befindet sich an Stellen, an denen er nicht erwartet wird. Die Nutzer brauchen dadurch natürlich entsprechend lange, um diesen zu finden, sagen aber: „Das lief gut, ist echt übersichtlich. Hat gut geklappt.“
In dem Fall ist das natürlich nicht das, was wir als Interviewer hören wollen. Aber obwohl wir den Nutzern erklären, dass wir das getestete Produkt nicht entwickelt haben und sie uns dadurch nicht auf die Füße treten können, bleibt diese Tendenz ein Stück weit bestehen. Dies kann eben auch dazu führen, dass Nutzer die Schuld auf sich nehmen, statt das Produkt zu kritisieren.
Das Bewusstsein der Nutzer ändert sich
Vor allem jüngere Generationen halten sich immer weniger zurück, die Tatsachen laut auszusprechen und den Schuldigen zu nennen: die App, die Website, das Produkt, den Service. Was immer die Nutzer frustriert, wird schnell links liegen gelassen. Der Wortlaut der Nutzer wandelt sich in eine andere Richtung.
„Das geht gar nicht.“
„Furchtbar unübersichtlich.“
„Würde ich nicht machen.“
Was müssen wir also tun?
Wir wissen jetzt: Was Nutzer sagen entspricht nicht immer dem, was sie tatsächlich tun. Das Wissen über verschiedene Biases in Interviews zu haben ist ein erster, wichtiger Schritt in die Richtung, den Nutzer richtig zu verstehen.
Die Lösung dieser Problematik ist naheliegend. In unserem Research-Alltag ist es immens wichtig, den Nutzer während Usability Tests zu beobachten. Nur dann können wir erkennen, wie der Nutzer mit dem Produkt zurechtkommt und die richtigen Schlüsse ziehen. Nur dann können Entwickler und Designer die Probleme der Nutzer wirklich verstehen und die richtigen Lösungen entwickeln.
Wofür eigentlich die Mühe?
Um langfristig erfolgreich zu bleiben, müssen wir Produkte entwickeln, die die Nutzer begeistern.
Egal ob bei Websites, Apps, Fahrzeug HMIs oder Flugzeugcockpits. Damit als Ergebnis unserer Arbeit im Design und der Entwicklung eine großartige User Experience steht, gibt es immer denselben gemeinsamen Nenner: den User.
„People ignore Design that ignores people.“ – Frank Chimero
Der User muss während des gesamten Entwicklungsprozesses im Fokus stehen, damit das Produkt für ihn und nicht für die Entwickler gestaltet wird. Um herauszufinden, was der Nutzer will und wie wir sein Leben mit unserem Produkt verbessern können, müssen wir mit ihm reden. Dafür steht uns die gesamte Bandbreite an UX Research Methoden zur Verfügung.
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Spezialgebiet: Psychologie, Nutzerverhalten
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