NOVA Blog: 11. April 2019
Peak-End Rule: Was ist das und was bedeutet es für digitale Produkte?
Kategorie: Methoden & Tools
Denken Sie einmal an Ihre letzte Flugreise. Woran können Sie sich noch erinnern? An den schönen Ausblick, dank des Fensterplatzes? Das überraschend gute Essen an Bord? Die unmenschlich lange Schlange am Kofferband und das damit einhergehende, ewige Warten?
Grundsätzlich erinnern wir uns an vergangene Erlebnisse als eine Serie von Schnappschüssen. Diese Schnappschüsse werden vor allem durch die besonders positiv und negativ wahrgenommenen Momente geprägt.
Dass unsere Wahrnehmung vergangener Ereignisse oftmals irrational scheint und warum das so ist, hat der Nobelpreisträger Daniel Kahneman in seinem Experiment When More Pain Is Preferred to Less: Adding a Better End herausgefunden.
Die Teilnehmer dieses Experiments wurden gebeten, ihre Hände zweimal hintereinander in unangenehm kaltes Wasser zu halten – jede Hand einmal. Die erste Hand wurde für 60 Sekunden in 14°C kaltes Wasser getaucht. Die zweite Hand wurde ebenfalls für 60 Sekunden in 14°C kaltes Wasser gehalten, anschließend wurde die Hand für zusätzliche 30 Sekunden im Wasser gelassen. In diesen 30 Sekunden wurde die Temperatur des Wassers auf 15°C erhöht.
Während die Patienten ihre Hände im Wasser hatten, mussten sie die Schmerzen anhand einer Skala beschreiben. Je mehr Zeit in den ersten 60 Sekunden beider Experimente verging, desto schlimmer wurden die Schmerzen beschrieben. Die zusätzlichen 30 Sekunden im nur wenig wärmeren Wasser hatten in den meisten Fällen zur Folge, dass das angegebene Schmerzniveau wieder sank.
Im Anschluss an das Experiment wurden die Probanden gebeten anzugeben, welchen Versuch sie wiederholen würden, wenn sie müssten. Nahezu 70% der Teilnehmer tendierten dazu den 90-sekündingen Versuch zu wiederholen.
Ähnliche Ergebnisse konnte Kahneman in einem weiteren Experiment reproduzieren. Hier befragte er Patienten, die sich einer Darmspiegelung unterzogen.
Diese Studien unterstützten Kahnemans Annahme, dass das menschliche Schmerzempfinden aus der Retrospektive durch den stärksten empfundenen Schmerz, dem Peak, und dem Endschmerz geprägt wird. Vernachlässigt wird dabei die Dauer des Schmerzempfindens. Dieses Phänomen wird als „Duration neglect“ bezeichnet.
Vereinfacht gesagt: Unser Gedächtnis bildet rückblickend einen Mittelwert aus der Peak- und der Endwahrnehmung.
Analog zu unserem körperlichen Schmerzempfinden nehmen wir auch „Schmerzen“ im Umgang mit digitalen Interfaces nicht ganzheitlich, sondern phlegmatisch war. Auch hier sind es die stärksten Ausprägungen während der Nutzung und die Endwahrnehmung, die unsere Meinung zu einem bestimmten Produkt bestimmen. Im Gegensatz zur physischen Schmerzwahrnehmung ist es bei der User Experience jedoch auch möglich, positive Peaks entlang der User Journey zu erzeugen.
Um herauszufinden an welchen Stellen sich die Peaks Ihres Produktes befinden, eignen sich Usability-Tests, die sie gemeinsam mit Ihren Nutzern durchführen. Besonders wichtig hierbei ist es, herauszufinden, an welchen Stellen die Nutzer Probleme haben oder gar frustriert werden. Noch während der Tests können Sie, gemeinsam mit Ihren Nutzern, erste Entwürfe zum Re-Design entwickeln. Das ermöglicht es Ihnen, Ihr Produkt nutzerzentriert zu gestalten und begeisternde Erlebnisse zu erzeugen.
Haben Sie vor das Design eines bereits bestehenden Produktes zu verändern, müssen Sie sich im Klaren darüber sein, dass bereits geringe Veränderungen einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung der Nutzer haben können – positiv wie negativ.
Gerade im Bereich der UX wird oftmals nur über frustrierende Momente gesprochen. Dabei wird außer Acht gelassen, dass es bereits jetzt schon viele Stellen in unserem Alltag gibt, die durch gute Usability und UX angenehmer gestaltet werden. Komfort, gute Bedienbarkeit, Freudemomente und ein allgemeines Wohlfühlen können aus einer guten Erfahrung ein unvergessliches Erlebnis machen.
Ansprechende Bilder, gut gewählte Farbakzente oder ähnliche Eye-Catcher können eine bereits gute User Experience in den Köpfen Ihrer Nutzer weiter festigen. Um Ihnen einen Eindruck zu vermitteln, was ein besonderer Eye-Catcher sein kann, habe ich Ihnen ein Beispiel mitgebracht.
Im Login-Bereich der ReadMe Website wird man von einer Eule beim Eingeben seiner Nutzerdaten „beobachtet“. Beim Klick in das Passwort-Eingabefeld hält sich die Eule die Augen zu, um Privatsphäre zu suggerieren.
Diese kleine Animation hat keinen starken Einfluss auf die weitere Nutzung der Website, aber sie schafft es, dem Nutzer ein kleines Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Die Entwickler haben es geschafft, aus einem einfach und allseits bekannten Login-Prozess ein Erlebnis zu machen, an das die Nutzer sich erinnern.
Im Gegensatz zu positiven Erfahrungen, die den Nutzer begeistern, gibt es natürlich auch negative Erfahrungen. Diese negativen Erfahrungen werden vom Nutzer stärker wahrgenommen, als ihr positiver Gegenpart. Das liegt daran, dass der Nutzer erwartet, seine Informationen einfach und schnell zu finden. Gelingt ihm das, dann ist er zufrieden, dass es so funktionierte, wie er es erwartet hat. Gelingt es ihm jedoch nicht, wird der Nutzer enttäuscht. Enttäuschung, Verwirrung und Frustration sind besonders starke Emotionen, die einen immensen Einfluss auf die aktuelle Wahrnehmung und die spätere Erinnerung an die Nutzung Ihres Produktes haben.
Ganz besonders schlimm ist es, wenn Kernelemente, wie z. B. die Navigationsleiste einer Webseite oder die Struktur einer App, negativ wahrgenommen werden. Haben sich diese Kernelemente erst einmal als negativ in den Köpfen der Nutzer verankert, überlegen diese sich, ob die Nutzung ihres Produktes unabdingbar ist, oder ob es vielleicht eine Alternative gibt.
Das letzte Kernelement ist der Abschluss der Nutzung Ihres Produktes. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die letzten Ereignisse eines Erlebnisses die besonders prägnanten Eindrücke sind. Denn erinnern wir uns an Erlebtes, sind es oft die letzten Ereignisse dieses Erlebnisses, an die wir uns als erstes erinnern. Auch hier macht unser Gedächtnis keinen Unterschied zwischen dem letzten besuchten Musikfestival oder der Nutzung der App, mit dem das Ticket gebucht wurde.
Aus diesem Grund ist der letzte Eindruck eine so wichtige Stellschraube, um die allgemeine Wahrnehmung Ihres Produkts verbessern zu können.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass sich das menschliche Gedächtnis schnappschussartig an vergangene Ereignisse erinnert und hierbei gerade die letzten Eindrücke polarisieren. Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass die wichtigsten Momente der User Journey nutzerzentriert designt werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass das restliche Design des Produktes vernachlässigt werden sollte.
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Autorenprofil
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Junior Projekt Manager
Spezialgebiet: UX Design