NOVA Blog: 21. Januar 2020
Kundenzentriert entwickeln? – das neue Jobs-To-Be-Done Tool!
Kategorie: Methoden & Tools, UX Grundlagen
Demographische Daten und auch andere Studienformate aus der Marktforschung versuchen Hinweise über die Kundenstruktur und das Kundenverhalten zu geben. Sie reichen aber oft nicht aus, um wirklich zu verstehen, welche Bedürfnisse der Kunde hat und mit welchen Motiven ein Produkt oder Service genutzt wird. Es lassen sich zwar Korrelationen berechnen, aber nicht immer kausale Zusammenhänge ableiten. Laut Peter Rochel und Eckhart Böhme führen nur klare Kausalketten zu Konsum-entscheidungen. Das ganze Modell beruht auf der Annahme, dass es keine Spontankäufe gibt. Denn es gibt immer einen kausalen Zusammenhang.
Mit ihrem neu entwickelten Wheel of Progress® sollen Geschichten eines Kunden nachvollziehbar gemacht werden. Das Canvas kann Produktentwickler und Service Designer dabei unterstützen …
- einen besseren Service oder ein neues Produkt zu bauen.
- zu ermitteln, welcher Customer-Job am profitabelsten ist.
Auf dem Kölner #jtbd innovation meetup haben wir uns das Tool einmal genauer angeschaut.
Das Wheel of Progress® (WOP) baut auf die Jobs-To-Be-Done Theorie auf, die entwickelt wurde, um Customer Jobs zu identifizieren. Was ist daran jetzt so anders? Das Tool verknüpft einige bekannte Modelle miteinander. Kundenbedürfnisse können schneller und präziser ermittelt und darauf basierend Lösungen gestaltet werden. Dabei sollte sich – laut Rochel und Böhme – jedes Unternehmen fragen:
- Warum holen Kunden unser Produkt oder unseren Services in ihr Leben?
- Und unter welchen Bedingungen wechselt ein potenzieller Kunde oder eine Organisation dauerhaft zu unserem Produkt?
Das WOP soll dabei helfen, diese Fragen zu beantworten – ganz egal, ob es sich um eine Marke, ein Produkt, einen Service oder eine Maßnahme handelt. Hauptsache es handelt sich um ein Mittel, das einer Person einen bestimmten Fortschritt ermöglicht.
Kein Kunde will unbedingt ein innovatives Produkt kaufen.
Menschen sind grundsätzlich nicht darauf bedacht, etwas zu verändern – wir sind alle Gewohnheitstiere. Wenn wir Lösungen für Probleme finden müssen, neigen wir dazu auf bestehende Lösungen zurückzugreifen. Laut Rochel und Böhme müssen Produktentwickler und Servicedesigner ein Problem erst voll und ganz verstehen, bevor sie dafür eine Lösung finden – diese Meinung teilen wir! Und in der heutigen Zeit, die so sprunghaft und schnelllebig ist, ist es umso schwerer zeitnah, kundenfreundliche Lösungen zu kreieren, die auf die Bedürfnisse des Kunden voll und ganz treffen und diesen letztendlich sogar überraschen.
Ein bekanntes Beispiel: Menschen wollen keinen Bohrer. Menschen wollen ein Loch in der Wand. Sie wollen etwas platzieren, sodass sie schöner wohnen. (Frei nach Theodore Levitt)
Wir wollen ein schöneres Zuhause, wollen aber nicht mehr bohren. Der Grundgedanke ändert sich – weg vom Bohrer, hin zu neuen Alternativen. Wir untersuchen hier den Fortschrittsprozess, d. h. den Prozess, in dem wir uns befinden, wenn wir einen Fortschritt erzielen wollen.
Erst wenn wir wollen, dass sich etwas ändert, kommt dieses Modell ins Spiel.
Quelle: http://wheelofprogress.com/ (abgerufen am 11.10.2019)
Das Modell macht deutlich, dass Kunden vielen Dingen ausgesetzt sind. Die beiden WOP-Erfinder sprechen von Kräften. Zum einen jene, die mich zu neuen innovativen Lösungen hinziehen. Zum anderen jene, die mich davon abhalten.
- Kraft der Gewohnheit (Habits of the Present)
- Kraft des Fortschritts/Veränderung (Push-Kraft)
- Kraft der Inspiration (Pull-Kraft)
- Kraft der Angst/Vorbehalte (Anxiety)
Quelle: Rochel & Böhme, Webinar „The Weel of Progress®” (Deutsch, 09.10.2019)
Die oben gekennzeichneten Push- und Pull-Kräfte müssen größer sein als der Leidensdruck, damit sich der potenzielle Kunde von einem Produkt oder Service überzeugen lässt. Und dazu kommen noch Umstände im Leben, die eine Person davon abhalten, Fortschritt einzuleiten (z. B. die aktuelle Wohnsituation etc.). Denn wer in einem Mehrfamilienhaus wohnt, kann nicht um 23.30 Uhr den Bohrer auspacken, richtig?
Erst wenn sich die Umstände ändern, werden neue Lösungen überhaupt erst in Betracht gezogen.
Je intensiver Produktentwickler und Service-Designer diese Bedingungen nachvollziehen können, desto besser lernen sie den Kunden und seinen Wunsch nach Fortschritt wirklich kennen.
Aus einer passiven Wahrnehmungsphase wird ein aktives Suchen:
- Das Ganze kommt also erst in Gang, wenn ein Ereignis, etwas in uns auslöst. Irgendwas ist in dem gegenwärtigen Zustand nicht mehr so wie ich es immer mache oder es entsteht eine leichte Unzufriedenheit. Es entsteht ein Gedanke, der uns aber noch nicht tätig werden lässt. Das Problem wird also zunächst einmal erkannt.
- Im nächsten Schritt wird das Problem spürbar: Ab diesem Moment, in dem das Problem auch wirklich mich selbst betrifft.
- Dann kommt wieder ein Ereignis, das uns dazu drängt, eine Entscheidung treffen zu müssen – eine Art limitierender Kontext, wie z. B. Zeit.
- Erst jetzt wird eine neue Lösung damit beauftragt, das Problem zu lösen. Dabei stehen aber noch folgende Fragen aus:
- Ist das die wirklich die Lösung, die ich brauche? Oder muss ich weiterschauen?
- Bringt mich diese Lösung jetzt wirklich weiter?
Und der Zeitrahmen für diesen Prozess ist nicht festgelegt – das kann Minuten, aber auch Jahre andauern.
Und wie gehen die beiden Erfinder vor?
Eine Fortschrittsgeschichte liegt nicht von vornerein vor. Die Geschichte kann laut Rochel und Böhme erst durch Interviews ermittelt werden. Im Anschluss können die daraus resultierenden Erkenntnisse in die verschiedenen Phasen des Wheels eingeordnet und somit eine Fortschrittsgeschichte kreiert werden.
In qualitativen Tiefeninterviews (in der Regel reichen 5-8 aus) werden gezielte Fragen zu Erfahrungen gestellt. Es geht dabei nicht darum Meinungen zu erfragen, sondern vielmehr Fakten zu ermitteln – und zwar darüber wann, was genau, in welchem Kontext passiert ist (konkrete Zeitpunkte und Situationen werden geschildert). Sie vermeiden lösungsorientierte Fragen und konzentrieren sich darauf, das Problem oder die Herausforderung voll und ganz zu verstehen.
Sie empfehlen, Neukunden zu befragen, die gerade erst beauftragt haben oder Ablehner, um zu verstehen, was sie besser machen können. Stammkunden geben laut Rochel und Böhme höchstens dezente Hinweise für die Produktentwicklung.
Ein sehr spannendes Tool, das auch wir uns noch genauer anschauen werden!
Hier gibt es noch mehr Input von den beiden Erfindern.
Und hier gibt es auch eine super Podcast-Folge dazu auf Spotify.
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Autorenprofil
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Projekt Manager
Spezialgebiet: Customer Centricity, Insight Communities, New Research