RSAG und SKOPOS NOVA
Innovationsprojekt Abfallwirtschaft – keine Ideen für die Tonne, sondern für die Zukunft.
Wenn man über Ideation, Ideenfindung und kreative Prozesse spricht, dann haben viele Leser:innen bunte Post-It-Wände, kreative Köpfe, abgefahrene Methoden und digitale Produkte im Kopf. Aber das muss gar nicht so sein. Und es wäre auch zu kurz gegriffen. Innovative Prozesse sind mehr als nur ein kreativer Workshop – sie beginnen weit davor und dauern auch weit danach noch an.
Viele Unternehmen denken nur an diese eine, große und goldene Idee. Doch vielmehr geht es um einen gesamten Prozess, der Mitarbeiter:innen und Prozesse im Unternehmen integriert.
Wir möchten davon erzählen, wie wir ein Unternehmen dazu befähigen (und dabei begleiten) durften, Innovationen von eigenen Mitarbeiter:innen entwickeln und ausarbeiten zu lassen. Und wie diese Innovationen letztliche Realität wurden.
Wir schreiben darüber aus den folgenden Gründen:
- Innovation ist vielfältig und man muss alle Phasen betrachten.
- Die Rhein-Sieg-Abfallwirtschaftsgesellschaft (RSAG) scheint nicht als das Paradebeispiel für Innovationen und Workshops, ist sie aber.
- Wir möchten zeigen, welche Phasen der Prozess durchlaufen kann und wie sich unsere Moderatorenrolle im Verlauf ändert.
Kurzüberblick im Video
Herausforderung
Die RSAG ist das kommunale Entsorgungsunternehmen im Rhein-Sieg-Kreis, der 19 Städte und Gemeinden umfasst. Über 600.000 Einwohner:innen vertrauen auf den Service der RSAG. Das Unternehmen beschäftigt rund 650 Personen an acht verschiedenen Standorten.
Anfang 2020 begannen die Gespräche zwischen der RSAG und uns. „Wir wollen neue Ideen finden, um uns für die Zukunft gut aufzustellen. Diese Ideen sollen von den jungen Mitarbeiter:innen aus dem Unternehmen kommen. Und wir wollen kein „Haben wir schon immer so gemacht.“ oder „Das geht so nicht.“. Bitte geht das mal richtig an und verfolgt es dann auch weiter!“
Wir haben uns gefreut, mussten aber erst einmal schauen, wie groß, komplex und faszinierend die Welt der Entsorgungsunternehmen so ist. Es gibt wenig Branchen, die so sehr zwischen Politik, Umwelt, Bürger, Logistik und Kommunikation hängen.
Unsere Mision war klar:
- Neue Ideen entwickeln und konzeptuell ausarbeiten.
- Junge MitarbeiterInnen fördern und befähigen, diese Ideen zu entwickeln.
- Alle relevanten Führungskräfte mitnehmen und abholen, aber auch klar kommunizieren, dass die Ideen nicht anzutasten sind (nur weil es ja schon immer anders war).
Hier gibt es bereits das erste große Learning: Ideenfindung hat auch immer etwas mit den Mitarbeiter:innen zu tun, die die Ideen haben, entwickeln, weiterverfolgen und verteidigen. Ideen, Wertschätzung und Commitment gehören zusammen. Die RSAG hatte das schon verstanden.
Vorgehen
Teil 1: Start
Zwei Dinge vorab: Erstens, „Lass uns mal Ideen finden.“ klingt nicht so gut, wie „Wir haben die Zukunftswerkstatt errichtet.“ Für das, was folgen sollte, haben wir ein eigenes Branding geschaffen – ein eigener Name, eine eigene Struktur. Das hilft, Teilnehmer:innen zu begeistern.
Zweitens, und apropos Teilnehmer:innen: Die jungen Kolleg:innen der RSAG konnten sich im Vorfeld für die Teilnahme bewerben und zeigten hierbei kreative Superkräfte und großen Willen. Das Auswahlverfahren haben wir in Abstimmung mit der RSAG übernommen und haben passende Mitarbeiter:innen identifiziert. Die Integration des gesamten Unternehmens auf diese Art und Weise zeigt, dass der Prozess schon weit vorher anfangen muss.
Und dann ging es los …
Wir trafen uns im März 2020 zwei Tage in Folge für einen richtigen Ideen-Marathon in einer kreativen Location in Köln. Junge Kolleg:innen trafen aufeinander und waren motiviert. Es war eine tolle Atmosphäre und die Teilnehmer:innen merkten „Wir können wirklich was bewegen.“
Zunächst haben wir in Kleingruppen mithilfe von unterschiedlichen Projektiv- und Kreativ-Aufgaben super viele Ideen gesammelt und kreiert. Dann haben wir uns in mehrere Zielgruppen (Persona) reingedacht und diese mit Leben gefüllt, um dann weitere Ideen und Gedanken zu sammeln.
Als wir diese hatten, konnten wir die vielen bunten und kreativen Ideen anhand verschiedener Kategorien bewerten, auswählen und reduzieren.
Die reduzierte Anzahl von Ideen wurde in spezifischen Templates zu Konzepten ausgearbeitet und im Detail durchdacht. Hier gab es Seitens der Moderator:innen immer wieder Anleitung und Unterstützung.
Damit wir keine Fantasiegebäude vor uns haben, haben wir unsere Konzepte und Ideen den Bürger:innen des Rhein-Sieg-Kreises vorgestellt. In einer Art Gruppendiskussion haben die jungen Kolleg:innen der RSAG ihre Ideen vorgetragen und Feedback eingesammelt. Und damit waren die Ideen „user approved“.
Warum hat das hier so gut geklappt?
- Es war nicht nur so, dass wir Ideen finden wollten, wir haben auch die Rollen neu definiert: Die jungen Kolleg:innen (also die Zukunft des Unternehmens) sollten aktiv mitgestalten. Das spürte jeder in unserem Raum: Es sind auch die Menschen!
- Wir haben die zwei Tage wie ein Event gestalten können: Gute Location, großes Team, viel Spaß und gutes Essen. Das hilft!
- Der Rückhalt der gesamten Geschäftsführung und der ersten Führungsebene war vorhanden. Alle waren da. Alle haben unterstützt! Und keiner hat reingeredet oder war kritisch. Da merkt man wirklich: Das hier ist ernst. Und das erlebt man selten.
Teil 2: Konkretisierung
Viele haben gute Ideen, aber viele belassen es auch dabei. Meist versandet der anfänglich so gute Plan irgendwo im Nirvana zwischen Meetings, Projektarbeiten, anderen Dingen, Hierarchie und „Der und die ist im Urlaub, wollen wir so in 3 bis 4 Wochen nochmal schauen?“ Auch hier war der RSAG klar, dass sie Unterstützung benötigen wird.
Deswegen haben wir mit allen Teilgruppen (wir haben insgesamt acht Ideen fokussiert) eine Remote-Workshop-Reihe ausgearbeitet. Remote, weil Corona. So einfach die Begründung. Denn auch hier wollten wir uns nicht aufhalten lassen. In diesen Workshop-Reihen ging es um die Konkretisierung der Ideen. Von der Idee zum Konzept.
- Welche Stakeholder sind involviert?
- Welche Schnittstellen müssen wir schaffen?
- Wie viel Budget brauchen wir überhaupt und wie lange wird das dauern?
- …
Wir haben Interviews im Unternehmen geführt, mit Dienstleistern gesprochen und die Kolleg:innen der RSAG haben hoch motiviert stets weiter daran gearbeitet, mehr und mehr Informationen zu finden. Ab hier sind wir auch individuell vorgegangen: Manche Teams brauchten mehr Unterstützung als andere, manche Ideen brauchten noch einmal Nutzer-Feedback und andere wiederum brauchten die Unterstützung der internen Kolleg:innen.
Nach ca. einem halben Jahr (und insgesamt über 45 Workshops) waren wir dann soweit: Die Ideen konnten in die Budget- und Jahresplanung aufgenommen werden und „los geht’s“.
Warum hat hier geklappt, was so oft nicht klappt?
- Wir wussten, dass die Phase der Konkretisierung schwer wird. Deswegen haben wir sie von Anfang an auf dem Schirm gehabt.
- Die Moderatorenrolle veränderte sich auf unserer Seite: Wir waren immer mehr Organisator, „Wadenbeißer“ und Koordinator. Wir haben einfach geschaut, dass der Prozess nicht abbricht.
- Die Verantwortung wurde an das Team übertragen. Und die Teilnehmer:innen mussten aktiv werden, unangenehmen Gespräche führen, hinterfragen und waren auf einmal „Inhaber“ der Idee.
Teil 3: Nicht abreißen lassen.
Sind wir ehrlich, wir wollen nur helfen. Wir wollen nicht auf die Bühne und keine Helden sein. Das sollen und müssen andere übernehmen. Im dritten Teil, nach dem die Konzepte fast zu Business-Plänen geworden sind, haben wir nur noch die Aufgabe zu organisieren, nachzuhören, notfalls mal auf die Füße zu treten, zu helfen oder mit Rat zur Seite zu stehen. Wir sind nicht gefangen im Daily-Business oder ähnlichem, wir können es uns zur Aufgabe machen, in regelmäßigen Abständen zu fragen „Seid ihr hier weitergekommen? Und wenn nein, woran hängt es? Was kann ich tun?“ Das funktioniert nun seit ca. 7 bis 8 Monaten ganz gut und das werden wir auch weiter machen.
Pro Quartal finden Gesprächsrunden mit allen acht Ideen-Teams statt. Pro Team haben wir einen internen Mentor bzw. interne Mentorin (und einen externen Moderator) installiert. Die Ergebnisse fließen im Quartal danach als Update in die Geschäftsbereichsleitung und werden an den Vorstand kommuniziert. Das zeigt auch den jungen Kolleg:innen: Hier passiert etwas!
Warum erwähnen wir das?
Es ist keine Schande zuzugeben (und einzuplanen), dass man ab und zu auf die Füße getreten bekommen muss. Wenn es nicht die einzige Aufgabe im Alltag ist, dann ist es vermutlich so, dass es nach unten priorisiert werden kann und wird. Daher ist ein Reminder nicht verkehrt und auch hier hat die RSAG den richtigen Riecher bewiesen und diese Unterstützung frühzeitig eingeplant.
Noch heute sind wir fester Teil der Teams. Und das ist echt spannend!
Learnings
Da gab es in der Tat viele. Aber wir beschränken es auf wenige.
- Die Idee ist nur die halbe Miete. Eine Integration (und Befähigung) der Mitarbeiter:innen ist Gold wert. Und dafür braucht es die Unterstützung der Führungskräfte – uneingeschränkt.
- Die Ideation wird erfolgreich, wenn man weitere Unterstützung einplant und direkt koordiniert. Ideen finden ist einfach (nicht immer!), aber das Umsetzen von neuen Ideen in alten Strukturen … das ist die wahre Herausforderung.
- Für Ideen muss man echt nicht ins Silicon Valley fahren, der Entsorger des Rhein-Sieg-Kreises macht es vor. Wirklich!
- Kolleg:innen, die Ideen neben ihrer hauptsächlichen Arbeit vorantreiben, sollten Unterstützung und Hilfe bekommen. Zumindest wenn es um Moderation, Organisation, Koordination geht. Warum sollten die das auch noch on top machen?
- Das Wissen für richtig gute Ideen liegt meist in den Köpfen der Mitarbeiter:innen. Ein offener und gut moderierter Innovationsprozess kann diese aufdecken und nutzbar machen.
- Innovationen sind nicht immer in der Liga „Steve Jobs“ zu suchen. Häufig lösen Innovationen auch nur kleine Alltagsprobleme oder machen Dinge ein bisschen besser.
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