Menschen können lesen. Und deswegen können wir Wissen aufschreiben und mit den Generationen nach uns teilen. Das unterscheidet uns vom Meerschweinchen. Beobachtet man Nutzer, wenn sie über eine Website scrollen oder durch eine App navigieren, so beginnt man ab und an schon einmal, an der Evolution zu zweifeln. Und am Unterschied zum Meerschweinchen.
Ich schreibe dies am Ende eines längeren Interview-Tages, in dem wir einen Online-Shop fokussiert haben. Wir haben Eyetracking verwendet, Use Cases durchführen lassen, das volle Programm. D. h. wir konnten genau beobachten, erfragen und erfassen, was die Nutzer sehen und was sie dann auch machen. Es ist zum Mäusemelken. Die Nutzer scannen einen zweizeiligen Text. Zweimal, dreimal. Und dann wissen sie noch immer nicht, was sie machen sollen, klicken auf den falschen Button und landen im falschen Bereich. Auf die Rückfrage des Interviewers: „Haben Sie eine Instruktion gesehen?“, sagen die Teilnehmer: „Ja, habe ich. Ich bin da auch drüber geflogen, aber ich weiß nicht so recht, was da stand“.
Aus Schöpfersicht würde ich nun verzweifeln, aus politischer Sicht würde ich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Aus Usability-Sicht ist es interessant. Woran könnte das liegen? Hier eine Vermutung: Ich glaube, dass Menschen grundsätzlich bestrebt sind, faul zu sein in Interaktionen und gutes UX Design in den letzten Jahren hat sie gelassen. Denn UX Design ermöglicht z. B. eine einwandfreie und oft fehlerfreie Nutzung, auch wenn der Nutzer eigentlich einen Fehler macht. Das System verzeiht Fehler in der Nutzung! Das ist nutzerzentriert at its best!
Aber damit wird der Nutzer auch ein bisschen Richtung „lazy“ erzogen. Und das führt dann oft dazu, dass er sich gar nicht mehr richtig anstrengt. Alles hat zwei Seiten. Und die Kehrseite von brutaler Nutzerzentrierung ist, dass der Nutzer nachlässig wird und sich nicht mehr anstrengt.
Ich persönlich finde das nicht so schlimm. Wir wissen, dass die kognitive Aufmerksamkeit heute mehr gefordert wird als je zuvor. Sollen die neuen Systeme, die uns das Leben schwermachen, doch ruhig so funktionieren, dass es einfach ist. Und vielleicht sogar faul. Ich könnte damit leben, glaube ich.
Aber was kann man nun ändern? Wie kann man sicherstellen, dass der Nutzer diesen einen Satz, der wirklich wichtig ist, dennoch liest?
Gute Frage! Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Zum Beispiel könnte die Entscheidung für oder gegen ein Call-to-Action verzögert werden bis das richtige Element ausgewählt oder der Text gelesen ist. Der Nutzer hat dann also keine Möglichkeit, woanders abzutauchen bis er das gemacht hat, worum ihn das Design bittet. Symbole, Farben und andere graphische Highlights helfen ebenfalls, wobei es seltener die Gestaltung an und für sich ist, sondern der Kontext, in den diese Gestaltung eingebettet ist. Es darf keine Ablenkung, keine andere Möglichkeit geben! Vielleicht haben wir uns zu lange auf die einzelnen Elemente konzentriert. Es wird Zeit, den Kontext zu betrachten und wenn wir wollen, dass der Nutzer diese eine Anweisung befolgt, dann müssen wir sicherstellen, dass er auf nichts Anderes klicken kann. Geben wir dem inneren Meerschweinchen des Nutzers die Möglichkeit, auf was Anderes zu klicken, dann macht er das auch! Immerhin ist das ja ein Call-to-Action, an dem wir so lange gefeilt haben. Eigentlich macht der Nutzer nur stumpf das, was wir ihm beigebracht haben – und jetzt wollen wir das auch nicht mehr. Also, wieder an die Arbeit!
Ich traf mal einen, der wusste, wie es geht – Rückblick zur Push Conference, 2019
Als ich auf der Push Conference in München letztes Jahr im Oktober einen Vortrag hielt, hatte ich das Glück, Scott Kubie zu treffen (wer das ist und wie er aussieht, sieht man hier). Er hat ein Buch darüber geschrieben, wie UX Designer das Schreiben in ihre Arbeit integrieren können, um genau diese obengenannten Fehler zu vermeiden. Passenderweise heißt es „Writing for Designers“ – zu bestellen ist es hier. Das hier ist keine explizite Werbung, aber ich habe das Buch nach seinem Vortrag gelesen und mir hat es verdeutlicht, warum es fatal ist, Designs zu testen, die noch mit Lorum-Ipsum-Texten bestückt sind. Denn die Sprache ist ein Teil des Designs, wird jedoch nicht immer so verwendet. Mir hat das Buch gefallen und im Kontext dieses Beitrags dachte ich, empfehle ich es zumindest einmal weiter. Ich habe so in jedem Fall etwas dazugelernt.
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