Ein tiefer Blick in die Bankenbranche
Deutsche Banken haben große Wachstumschancen im UX-Bereich
Kategorie: Gedanken & Gespräche
Vor sieben oder acht Jahren habe ich mich selbst sehr begeistert bei N26 angemeldet – eine Bank, die alles verändern sollte, eine Bank, die primär über eine App gesteuert wurde und ein cooles Interface hatte. Das Konto habe ich ein paarmal genutzt, aber so richtig gewechselt habe ich noch nie. Nach wie vor bin ich Kunde von zwei traditionellen deutschen Banken. Warum eigentlich?
Ich, für mich persönlich gedacht, glaube, dass Banken (so wie auch Versicherungen) einen spannenden Spagat zwischen Digitalisierung, moderner UX, aber auch Glaubwürdigkeit, Sicherheit und Tradition gehen müssen. Nutzende erwarten eine sichere und glaubwürdige Umgebung, immerhin geht es um ihr Geld. Gleichzeitig wollen sie aber auch einfache User Flows, ein ansprechendes User Interface und eine gute und verständliche Nutzungserfahrung. Banken müssen das liefern. Und dass das funktionieren kann, zeigen die Banken anderer Länder (z. B. Niederlande oder USA), aber in Deutschland sind wir einfach etwas sicherer unterwegs. Lassen Sie uns mal reinschauen.
Herausforderungen der Digitalisierung in der Bankenbranche
Neben einer angenehmen User Experience hat die Bankenbranche in Deutschland schon auch noch andere Herausforderungen zu meistern. Die Digitalisierung führt zur Überarbeitung interner Prozesse, die nun durch Automatisierungsmöglichkeiten effizienter und kostengünstiger werden können. Die Implementierung neuer Systeme allerdings bedeutet mögliche Qualitätslücken und Systembrüche, was wiederum zu möglichen Fehlern führt, die man in diesen Kundenbeziehungen natürlich akribisch vermeiden möchte. D. h. es gibt oft eine Vision, die Umsetzung ist aber sehr kompliziert und der häufig zitierte Fachkräftemangel, insbesondere im IT-Bereich der Banken, trägt nicht unbedingt dazu bei, dass neue Technologie schnell zu integrieren sind.
Darüber hinaus sehen sich Banken mit regulatorischen und technologischen Herausforderungen konfrontiert, die den digitalen Wandel erschweren. Die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben und der Schutz sensibler Kundendaten erfordern umfangreiche Investitionen und fortlaufende Anpassungen an neue Standards. Ach ja, und FinTech-Unternehmen, die ihre Produkte und Services auf den Markt bringen, erhöhen den Druck, da ihre Anwendungen häufig benutzerfreundlicher und flexibler als traditionelle Banklösungen sind.
Jetzt klingt das natürlich nach keiner sehr wohltuenden Aufgabe, wenn man im Bankensektor arbeitet und diesen Berg vor sich sieht. Allerdings steht auf der anderen Seite eine intensive und langfristige Kundenbindung mit dem – neben der Gesundheit – wichtigsten Gut für die individuellen Schicksale: dem eigenen Geld. Wenn man hier also Vertrauen erarbeitet hat, dann ist das in etwa so, als würde man heiraten. Das bedeutet schon mehr als eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio oder ein Abo bei Netflix.
Gute Beispiele aus aller Welt
Banken sind sehr komplexe Systeme – insbesondere, wenn es über das eigene Konto hinausgeht und diverse Investmentprodukte angeboten werden. Aber es gibt hier und da gute Beispiele von Anbietern, die eine gute User Experience bieten, und dann genau aus dem Grund vom Kunden angenommen werden. Ein Grund hierfür ist häufig, dass „Mobile First“-Lösungen angeboten werden. Auch wenn Deutschland hier noch etwas konservativer ist, können wir in die Zukunft blicken: Laut einer Umfrage aus den USA wollten schon 2022 78 % der über 18-jährigen in den USA lieber eine mobile Bank-Lösung auf ihrem Smartphone nutzen, als über den Browser ihres Laptops oder PCs (von einer stationären Service-Lösung mal ganz abgesehen) gehen zu müssen. In den Niederlanden sind die Banking-Apps weitaus kundenfreundlicher und zufriedenstellender. Auch können Kunden hier viel mehr Einstellungen sofort und selbst vornehmen, während in Deutschland häufig noch bürokratische Sicherheits- und Administrationsprozesse den Weg umständlich verlängern.
Ich will nicht sagen, dass gute UX auf Kosten von Sicherheit bzw. wahrgenommener Sicherheit daherkommen muss. Die beiden Aspekte sind nicht konträr – man kann sie gut vereinen. Allerdings muss man dafür auch den Fokus auf eine gute User Experience legen. Als Kunde einer deutschen Traditionsbank kann ich sagen, dass sich am Interface in den letzten 15 Jahren so gut wie gar nichts geändert hat. Das ist schade, eine vertane Chance. Ich bin noch immer dort, ich habe nicht gewechselt. Aber für interaktive Lösungen, wie z. B. Aktienkäufe oder ETF-Sparpläne bin ich zu einer anderen Bank gewechselt, einfach weil die Interaktion dort freundlicher war und mir dadurch mehr das Gefühl gegeben hat, ich verwalte mein eigenes Geld hier gerade und ich verstehe, was ich tue!
Wenn wir in die Welt des Bankings schauen, gibt es ein paar gute Beispiele, die wir als Inspiration nutzen können.
Citibank
Die UI/UX-Gestaltung der Citibank ist klar und benutzerfreundlich. Der Stil ist minimalistisch und modern. Die Benutzeroberfläche der App ermöglicht verschiedene Funktionen: Man kann mit Karten, Transaktionen und Operationen arbeiten. Filter erleichtern es den Nutzern, Details zu spezifizieren und sicherzustellen, dass bei finanziellen Operationen keine Fehler gemacht werden. Der In-App-Chat erinnert an eine coolere Version von Facebooks Messenger und die Standortfunktion beinhaltet eine Karte – eine einfache, aber oft in Banking-Apps vernachlässigte Lösung.
Alfa Bank
Die russische Alfa Bank ist eines der besten Beispiele für gut gestaltete Banking-Apps. Sie bietet leicht verständliche und intuitive Optionen für alle Finanzangelegenheiten. Die Farben sind schlicht, aber auffällig und jede Seite ist einfach zu navigieren. Die Kontoübersicht enthält alle grundlegenden Informationen und ermöglicht es dem Nutzer, durch Wischen das gewünschte Konto auszuwählen und durch Antippen alle Details einzusehen.
Wie UX-Forschung und UX Design helfen können
Wie schon gesagt, ist UX kein Heilsbringer. Nicht in einer Branche, die strengen Regularien unterliegt und hochkomplex im Bereich der Systementwicklung ist. Aber in wenig anderen Branchen ist die Emotionalität und die persönliche Relevanz so groß, wie im Bereich der Banken. Vielleicht trifft es noch auf Versicherungen zu. Immerhin geht es um die großen Determinanten des individuellen Schicksals – Geld und Gesundheit.
Im Bereich des Bankings kann eine gute User Experience aber die Brücke zwischen Emotionalität, notwendiger und wahrgenommener Sicherheit und selbst administrierten Handlungen und Aktionen schlagen. Kurzum: Nutzende sollen sich in jeder Interaktion selbstbestimmt und sicher fühlen – und nicht nur, weil ein großer und seröser Name über all dem hängt. Und genau deswegen ist UX an dieser Stelle a) extrem wichtig und b) bislang noch nicht da, wo sie sein müsste. Zu lange haben sich manche Banken auf das Image und das System verlassen, aber wenn es zunehmend leichter wird im Bereich der EU Geld auf andere und auch ausländische Konten zu verteilen, so wird auch der Wettbewerbsdruck höher. Und schon längst sind es nicht mehr die guten Angebote, die guten Zinsen, sondern es ist auch häufig die digitale Lösung, die den ausschlaggebenden Grund für einen Wechsel bietet.
Eine herausragende User Experience (UX) führt zu erhöhter Kundenzufriedenheit, die sich direkt auf die Kundenbindung auswirkt. Zufriedene Kunden bleiben länger treu und sind eher bereit, weitere Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Banken, die eine intuitive und effiziente UX bieten, können sich also von ihren Mitbewerbern abheben und einen klaren Wettbewerbsvorteil erlangen.
Aber es hat auch Vorteile für die Bank selbst: Eine gut gestaltete UX reduziert den Aufwand bei der Antragsstellung und ermöglicht es Banken, ihr Wachstum skalierbar zu gestalten. Durch automatisierte und benutzerfreundliche Prozesse lassen sich Ressourcen effizienter nutzen und die Bearbeitungszeiten verkürzen.
Und was heißt das nun?
Ist ja alles schön und gut und habe ich verstanden, sagen Sie nun. Aber was mache ich damit? Wo fange ich an?
Auf die Frage würde ich vorerst nicht einmal mit „Primär-Forschung“ antworten. Als damals Tesla um die Ecke kam, haben wir viel Forschung mit Tesla-Kunden betrieben und sie gefragt, warum das alles so toll ist. Das gleiche würde ich mit Kunden anderer Lösungen machen. Die ganzen Kunden der FinTechs, die ausländischen Kunden der modernen Banking-Lösungen – die können erklären, warum welche Prozesse einfacher und zufriedenstellender sind. Trade Republic z. B. hat der jüngeren Generation Aktienmärkte auf einen Schlag nahgebracht. Warum? Gute UX (und viel Marketing). Die sollten wir befragen.
Im weiteren Prozess sollten wir uns eng an agiles Testing heranbewegen. Das bedeutet, dass man engmaschig entwickelt und testet. Warum? Weil die Interfaces meist sehr komplex sind und es wenig bringt, das ganze Ding auf einen Schlag umzugestalten, um dann zu schauen, ob es gut ankommt. Wir sollten eher kleinere Interaktionen testen, um zu prüfen, ob Akzeptanz und vor allem Verständnis vorhanden sind. Wenn ja: weiterentwickeln. Somit bieten sich kurze Test-Zyklen oder sogar Design Sprints an der Stelle besonders gut an.
Die Bankenbranche ist eine der wenigen Branchen, die für sich im Jahr 2025 Wachstum erkennt – eine großartige Chance! Allerdings nur, wenn man sich auf das fokussiert, was wichtig ist. Und das ist nicht das Geld, sondern das sind in erster Linie die Menschen, die das Geld einzahlen. Daher ein starkes Plädoyer zum Schluss: Wenn man als Bank erfolgreich sein will, führt kein Weg daran vorbei, gute und nutzerfreundliche Lösungen anzubieten. Ein Hoch auf UX!
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