„Hacking Remote Research“
3 Remote Hacks für Usability Tests und User Interviews
Kategorie: Gastbeitrag, UX Grundlagen
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Runde von „Experten berichten“.
Heute stellt sich Juliana Brell vor. Sie ist UX Researcherin bei sipgate und berichtet von gewinnbringenden Erkenntnissen und Erfahrungen im Bereich Usability Testing.
Vielen Dank für die vielen, guten Tipps und viel Spaß beim Lesen!
Seit Oktober bin ich in-house UX Researcherin bei sipgate, einem Telekommunikationsunternehmen aus Düsseldorf. Wir sind der erste deutsche VoIP-Anbieter und seit 2004 unterwegs auf der Schnittstelle von Internet und Telefonie. Neben der Telefonie sind wir für unsere Arbeitsweise bekannt. New Work, Scrum, Agile, Employee Empowerment, New Pay, … – bei uns werden diese Buzzwords tatsächlich gelebt und natürlich sind in diesem Umfeld ein paar UX-Research-Menschen mit am Werk ;)
Um die Produkt-Teams regelmäßig und in entspannter Atmosphäre an die Themen Usability Testing und User Research heranzuführen, haben wir 2018 mit dem „Open Test Lab“ ein Format entwickelt, das ähnlich dem Usability-Testessen (https://usability-testessen.org/) funktioniert.
[Herzliche Grüße an quäntchen & glück, die Erfinder:innen des ursprünglichen Formats, und danke für die stetige Inspiration ;) ]
Das Open Test Lab ist bei uns eine ca. 3-stündige Veranstaltung, bei der unabhängige Testpersonen dazu eingeladen werden, Feedback zu Produkten, Features, Ideen, Konzepten, Prototypen etc. zu geben. Die Tester:innen wandern rotierend von einer Teststation zur nächsten, sodass am Abend jedes Team von fünf Testpersonen Feedback erhält. Manchmal sind die Tester:innen unsere eigenen Kunden, manchmal testen wir aber auch mit Personen, die noch nie von sipgate gehört haben.
Die Challenge: Wie stellen wir sicher, dass Research im Rahmen des „Open Test Lab“ auch Remote ein Erfolg wird?
2020 hatte das Open Test Lab dann seine Corona-konforme Remote-Premiere, was uns bei der Vorbereitung vor Herausforderungen wie diese stellte:
- Eine digitale Verabredung einfach sausen zu lassen ist naheliegend, manchmal verhindert die Technik die Teilnahme. Wie stellen wir sicher, dass die eingeladenen Personen nicht kurzfristig absagen oder wir durch Technikprobleme in Verzug kommen?
- Die Think-Aloud-Methode für Usability Tests ist zu Beginn ungewohnt. Das Ganze dann remote herauszukitzeln – noch schwieriger. Wie schaffen wir es, dass die Personen während der Tests konstant berichten, was sie sehen, denken und tun?
- Die Produkt-Teams haben wenig Zeit, um im Nachgang die Interviews erneut anzuhören und mitgetippte Gesprächsprotokolle zu vergleichen. Wie gelangen die Teams in kurzer Zeit an die essentiellen Insights aus den Tests?
Hier kommen unsere drei Hacks für Remote Tests, um die obigen Fragen zu beantworten:
Hack 1: Der Technik-Check vorab
Wir entscheiden uns dafür, mit jeder teilnehmenden Person vorab einen Technik-Check per Videokonferenz zu machen und versenden über Calendly Terminmöglichkeiten zum Eintragen. Da wir für das digitale Open Test Lab mit Google Meet und Lookback arbeiten, testen wir im Technik-Check beide Tools. Tipp: Wichtig ist, dass Ihr den Teilnehmenden einen präferierten Browser nennt, denn nicht jedes Tool ist in jedem Browser gut bedienbar. Ein Teilnehmer hat tatsächlich mal den Technik-Check mit seinem Arbeitslaptop erledigt, beim Test aber den Oldschool-PC zu Hause verwendet. Zwar haben wir im Nachgang über diesen Fail gelacht, am Test-Tag selbst hat es aber dementsprechend Zeit gekostet und ein Produkt-Team hatte deshalb eine Testperson weniger. Also: Sagt den Personen, dass sie bitte den Check mit dem Gerät erledigen, von dem aus sie auch teilnehmen werden.
Der Technik-Check vorab kostet euch ca. 15 Minuten pro Person, aber er belohnt zweifach. Einerseits könnt Euch sicher sein, dass die Personen beim besagten Test keine Technik-Probleme haben. Und andererseits habt Ihr Euch vorab schon mal „persönlich“ kennengelernt, was das Verpflichtungsgefühl Euch gegenüber seitens der Teilnehmenden erhöht ;)
Hack 2: Die Ü-Ei-Übung zu Beginn
Um dem großen Schweigen während eines Usability Tests zu entgehen, haben wie die Überraschungs-Ei-Methode erfunden. Bei dieser Methode üben die Teilnehmenden das „Think Aloud“, während sie ein Ü-Ei auspacken. Wir geben ihnen den Hinweis: „Bitte nehmen Sie nun das Überraschungs-Ei in die Hand und packen es aus, bis sie das Spielzeug darin zusammengebaut haben. Kommentieren Sie diesen Vorgang einfach, als würden Sie ein Fußballspiel kommentieren, erzählen Sie uns also sämtliche Gedanken und Handlungen.“ Das funktioniert erstaunlich gut, macht allen Spaß, und zur Belohnung gibt’s Schoki.
Ihr fragt Euch gerade, wie die Teilnehmenden an das Ü-Ei kommen? Wir senden ihnen vorab ein kleines Päckchen mit u. a. Getränk, sipgate Block & Stift, Gruß aus unserer Küche, einer Postkarte mit persönlichem Text und dem besagten Ü-Ei zu. Tipp: Klebt einen Zettel an das Ü-Ei, sonst ist es verspeist, bevor der Usability Test stattgefunden hat.
Hack 3: Das Insight-Template danach
Nachdem wir nun zwei Herausforderungen seitens der Teilnehmenden aus dem Weg geräumt haben, kommen wir zu den Produkt-Teams. Wir hören manchmal Sätze wie „Wir haben keine Zeit fürs Testen, die Auswertung dauert zu lang“. Verständlich, Research ist extra Aufwand – der sich aber absolut lohnt! Besonders, wenn mindestens ein Product Owner und ein:e Designer:in dabei sind, bestenfalls auch die Developer. Und die Auswertung muss nicht lange dauern, wenn man vom Research Team ein tolles Template bekommt ;)
Unser Template haben wir im Whiteboard Tool „Miro“ angelegt. Nutzt hier das Tool eurer Wahl, das bestenfalls im Unternehmen bereits etabliert ist und auf dem Ihr mit mehreren Personen parallel arbeiten könnt. In unserem Template gibt es für jede:n Teilnehmende:n einen Rahmen, in den Ihr während des Interviews Eure digitalen Post-Its mit den Inhalten, Erkenntnissen, Pains, Gains, Zitaten etc. klebt.
Diese clustert Ihr dann gemeinsam als Team nach den Interviews. Tipp: Am besten blockt Ihr Euch direkt am nächsten Tag Zeit dafür, denn da sind die Erinnerungen noch frisch. Die Cluster benennt Ihr sinnvoll und schreibt dann ein bis zwei Insights darunter. Meist fällt uns in diesem Prozess direkt eine Handlungsempfehlung bzw. eine Veränderung ein, die wir im Prototypen oder im Interface verändern möchten. Wir schauen in die Interviews nur in den seltensten Fällen rein, das spart nochmal viel Zeit bei der Auswertung.
„Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm.“
Tipp zum Schluss: Wenn Ihr oder eines Eurer Produkt-Teams mal quick & dirty etwas testen wollt, dann schaut nach, wann das nächste offizielle Usability-Testessen in Eurer Stadt stattfindet. Und yes, die gibt’s mittlerweile auch in der Remote-Version ;)
Scheut Euch nicht, mich oder das Team von SKOPOS NOVA bei Rückfragen zum Artikel, zum Open Test Lab, oder generell zum Thema UX Research anzusprechen. Wir freuen uns auf den Austausch mit Euch!
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